Egal ob Sie eine Rede vor Kollegen oder Mitarbeitern halten, ein Kunden-Anschreiben formulieren, eine Werbebroschüre, einen Newsletter oder eine Pressemitteilung verfassen: Nur wenn Ihre Sprache das Publikum erreicht, werden Sie gelesen und gehört.
Mediennutzer wollen verstanden werden
Erfolgreiche Kommunikation bedeutet heute mehr denn je, Meinungen, Wünsche und Bedürfnisse des Gegenübers aufzugreifen. In Zeiten von WhatsApp und Instagram sind Mediennutzer keine passiven Konsumenten mehr, sondern bringen sich in Foren, Blogs oder Chat-Gruppen aktiv ein und produzieren selbst Inhalte. Es reicht daher nicht, sie einseitig mit (Werbe-)Botschaften zu beschallen: Sie wollen ernstgenommen und verstanden werden.
Professionelle Redner und Texter nehmen deshalb die Perspektive ihrer Leser und Zuhörer ein. Sie holen sie in ihrer Erfahrungswelt ab, stellen Gemeinsamkeiten, ähnliche Erlebnisse, Erfahrungen oder Probleme heraus. Und bieten erst dann eine Lösung an.
Die Rede seines Lebens
Ein Meister darin, Wünsche und Stimmungen seines Publikums aufzugreifen und in seine Reden einzubauen, ist der ehemalige US-Präsident Barack Obama. Im August 2008 begeisterte Obama, damals noch Senator und demokratischer Kandidat für das Präsidentenamt, mehr als 80.000 Anhänger im Footballstadion von Denver mit einer klugen, fesselnden und empathischen Wahlkampfrede. Sie gilt als eine der besten Reden seines Lebens, Wegbereiter zum Wahlsieg und Lehrstück für gelungenes Storytelling. Ein Auszug:
„Wir messen die Stärke unserer Wirtschaft nicht daran, wie viele Milliarden wir haben […]. Sondern daran, dass Leute mit guten Ideen ein Risiko eingehen und ein eigenes Geschäft aufbauen können. Oder daran, ob eine Kellnerin, die vom Trinkgeld lebt, einen Tag freimachen kann, wenn ihr Kind krank ist, ohne dass sie ihren Job verliert. Wir wollen eine Wirtschaft, welche die Würde der Arbeit respektiert.“
Obama hätte auch nüchtern sagen können: Unsere Wirtschaft fühlt sich nicht nur dem Gewinn, sondern auch dem Gemeinwohl verpflichtet. Doch dann wären seine Worte untergegangen. Stattdessen band er die Bürger in eine große Erzählung ein, machte sie zu Verbündeten in seinem Plan für ein neues Amerika: „Yes, we can!“
Vom Trinkgeld zur Würde der Arbeit
Obama nutzt in seiner Rede eines der wichtigsten Schreibwerkzeuge: die „Leiter des Erzählens“. Auch in der Unternehmenskommunikation kann dieses Tool hilfreich sein: zum Beispiel, um Vorträge zu halten, ein Editorial im Kundenmagazin zu schreiben oder eine Annonce, die junge Bewerber für ein Unternehmen begeistern soll. Sie können die Leiter des Erzählens nutzen, um Ihre Texte anschaulicher zu machen und die Relevanz Ihrer Aussagen zu betonen. Sie eignet sich aber auch, um neue Themenideen zu entwickeln.
Wie dieses Werkzeug genau funktioniert, lässt sich an der Denver-Rede gut erkennen. Obama steigt die „Leiter des Erzählens“ auf und ab. Das bedeutet: Er verbindet konkrete mit abstrakten Inhalten. Er spricht von abstrakten Dingen („Stärke der Wirtschaft“), wird dann konkret („Leute mit Ideen“, „Kellnerin“, „Trinkgeld“, „krankes Kind“) und kehrt anschließend wieder zum Abstrakten zurück („Würde der Arbeit“).
Aber warum heißt es „Leiter des Erzählens“? Stellen Sie sich eine Leiter vor. Nehmen Sie nun ein Thema aus Ihrer Branche, etwa Elektroautos. Auf den obersten Sprossen der Leiter stehen abstrakte Begriffe, die Ihnen dazu einfallen, wie Elektromobilität, Ökostrom oder Klimawandel. Je mehr Sie die Leiter hinabsteigen, desto konkreter und verständlicher wird das Thema. Auf den untersten Trittstufen geht es um Dinge, von denen jeder sofort ein Bild vor Augen hat: Batterien, Steckdosen, Ladekabel.
Gute Texte kombinieren konkrete und abstrakte Inhalte
Für starke Reden oder Texte braucht es beides: Konkrete Inhalte machen ein Thema anschaulich, abstrakte ordnen es ein. Schreibe oder spreche ich nur von der „Zukunft der Mobilität“, können sich die meisten Leser darunter nichts vorstellen. Bleibe ich bei Akkus und Ladekabeln, fragen sie nach der Bedeutung für sich und die Gesellschaft.
„Wie fesselt man seine Leser und Zuhörer? Mit dem Storytelling-Tool „Leiter des Erzählens“. Redner wie Barack Obama klettern sie gekonnt auf und ab und kombinieren anschauliche Inhalte mit abstrakten Begriffen.“
Das können Redner und Autoren verhindern, indem sie auf der „Leiter des Erzählens“ auf und ab klettern: Steigen sie die Sprossen hinab, wird das Thema anschaulich. Klettern sie sie hinauf, betonen sie seine Relevanz. Die mittleren Trittstufen versuchen sie, so weit wie möglich zu meiden: Dort lauern Bürokratie und Technokratie (beim Thema Elektroautos zum Beispiel sperrige und für Laien unverständliche Begriffe wie „Ladesäulenverordnung“, „CCS-Kopplung“ oder „Marktanreizprogramm“). Wer sich zu lange auf diesen Sprossen aufhält, riskiert, dass ihm seine eben noch putzmuntere Leser- oder Hörerschaft wegdöst. Zwei Fragen helfen, um die Mitte rasch wieder zu verlassen: Gibt es ein Beispiel dafür (Leiter runter)? Und: Was bedeutet das für Kunden/Verbraucher/die Gesellschaft (Leiter rauf)?
Steigen Sie selbst auf die Leiter
Sie wollen die „Leiter des Erzählens“ ausprobieren? Malen Sie einfach eine Leiter auf ein Blatt Papier. Das muss kein Kunstwerk sein, ein paar Striche für die beiden Holme und die Stufen reichen. Sammeln Sie nun konkrete und abstrakte Begriffe zu einem Thema, zum Beispiel „Trinkwasser“, und ordnen Sie sie auf der Leiter an. Welche anschaulichen Wörter packen Sie an den Fuß der Leiter? Welche abstrakten Begriffe gehören auf die oberen Stufen?
Merken Sie was? Ihr Thema gewinnt mit jedem gesammelten Wort Kontur. Eben noch wussten Sie vielleicht nicht, wie Sie das vielschichtige Thema Trinkwasser anpacken sollten – nun wird es in allen Facetten lebendig. Es geht bodenständig und alltagsnah um Wasserhähne, Leitungen oder Rasensprenger, aber eben auch ums große Ganze: Klimawandel, Trinkwasserknappheit oder die Ressource Wasser. Begriffe, die die Bedeutung Ihres Themas unterstreichen.
Klettern in der Themenkonferenz
Sie können diese „Kletterübung“ für sich allein am Schreibtisch machen, wenn Sie nach Anregungen für einen Text oder eine Rede suchen. Picken Sie sich danach die Stichworte raus, die Ihnen wichtig sind, und nutzen Sie sie als Grundgerüst für Ihren Text. Steigen Sie die Leiter des Erzählens beim Schreiben auf und ab – und hüten Sie sich vor der Mitte. Vielleicht gelingt Ihnen das beim ersten Mal noch nicht perfekt. Macht nichts: Sie werden merken, wie Ihre Texte von jedem Schritt auf der Leiter profitieren.
Sie können die Leiter des Erzählens auch gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen oder Ihrer Agentur erklimmen, zum Beispiel bei der nächsten Themenkonferenz:
- Zeichnen Sie dazu eine Leiter auf ein Whiteboard oder Flipchart.
- Fragen Sie nach abstrakten bzw. anschaulichen Begriffen zum jeweiligen Thema. Ermuntern Sie die Runde, mutig Vorschläge einzuwerfen. Ausgesiebt wird später.
- Ordnen Sie die Begriffe auf den passenden Sprossen der Leiter an.
- Der Ideenmotor brummt nun. Zünden Sie die nächste Stufe: Nehmen Sie ein neues Blatt und sammeln Sie originelle Themenvorschläge und dazu passende Textformate. Alles ist möglich: ein Erklärstück im Kundenmagazin zur „Ressource Trinkwasser“, ein Online-Ratgeber zu „wassersparendem Gärtnern“ oder die „schönsten Regenlieder“ auf Facebook.
- Stimmen Sie über die besten Ideen ab und nutzen Sie sie für einen Kanal Ihrer Wahl.
Viel Freude beim Schreiben und Ideen sammeln mit der „Leiter des Erzählens“!