Mark Zuckerberg hat Mitte Januar eine neue Strategie für den Facebook-Newsfeed verkündet: Der Algorithmus wird Beiträgen von privaten Profilen Vorfahrt vor Fanpage-Postings einräumen. Die meisten Unternehmen werden daher einen Rückgang ihrer organischen Reichweite bemerken.
Reichweiteneinbruch hat Geschichte
Das Thema ist nicht neu: Schon 2013 hat Facebook den Newsfeed-Algorithmus angepasst und die organische Reichweite für Unternehmens-Postings drastisch gesenkt. Die Begründung lautete damals: Der durchschnittliche Facebook-Nutzer hat so viele Kontakte, dass er den Content, den Freunde und Unternehmen täglich auf Facebook publizieren (angeblich 1.500), gar nicht mehr konsumieren kann.
„Facebook kappt die organische Reichweite für Unternehmen: Was ist die Konsequenz für EVU?“
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Interaktionen als Maß für Relevanz
Also führte Facebook eine Art „Relevanzfilter“ ein. Grob gesagt bemaß er sich nach Art und Umfang der Interaktionen. Auch wie schnell der Post nach seiner Veröffentlichung geliked, kommentiert oder geteilt wurde, hatte Einfluss auf die organische Reichweite. Wer das Ganze ausführlich nachlesen möchte: Allfacebook.de hat die einzelnen Faktoren für organische Reichweite auf Facebook sehr gut dokumentiert.
Zuckerberg ändert die Spielregeln
Und jetzt? Nachdem Marken nach anfänglicher Empörung über den „Reichweiten-Diebstahl“ gelernt hatten mit den neuen Regeln umzugehen und nolens volens mehr Geld für Sponsored Posts ausgaben, ändert Zuckerberg am 12.1. schon wieder die Spielregeln:
„We built Facebook to help people stay connected and bring us closer together with the people that matter to us. That’s why we’ve always put friends and family at the core of the experience. Research shows that strengthening our relationships improves our well-being and happiness. But recently we’ve gotten feedback from our community that public content – posts from businesses, brands and media – is crowding out the personal moments that lead us to connect more with each other. „
Nutzer lassen Facebook links liegen
Hier zeigt sich die Kehrseite der Facebook-„Größe“: Mittlerweile betreibt (fast) jedes Unternehmen einen Account – und alle produzieren täglich Content. So viel, dass trotz anhaltendem Wachstum – vornehmlich gestiftet durch neue User in asiatischen Ländern beziehungsweise in der Dritten Welt – immer mehr Menschen Facebook den Rücken kehren. Sie sind genervt von belanglosen Unternehmens-Postings oder schlecht gemachten Werbe-Ads. Oder sie ändern ihre Nutzungsgewohnheit radikal: Viele checken ihren Newsfeed nur noch sporadisch und verhalten sich tendenziell passiv. Einen Like, einen Kommentar oder gar eine Teilung geben sie nur noch in Ausnahmefällen her.
Kritik am „Datenkraken“
Auch Kritik an dem „Datenkraken“ Facebook wird immer wieder laut. Das ursprünglich als Kontaktkanal für Studenten gegründete Netzwerk ist längst zu einer gigantischen Datensammelmaschinerie mutiert, die das Klick- und Nutzerverhalten haarklein trackt und speichert. Diese Daten versteht Facebook wie kein anderes soziales Netzwerk zu monetarisieren. Für viele Nutzer ein Grund, dem zum Werbekanal mutierten Netzwerk den Rücken zu kehren. Manch einer outet sich sogar als vehementer Gegner – Sean Parker etwa, ein Weggefährte und Partner von Mark Zuckerberg aus den Gründungszeiten:
„Facebook untergräbt die Produktivität in komischer Weise. Nur Gott weiß, was es mit den Gehirnen unserer Kinder anrichtet.“
Zuckerberg hört die Signale – und reagiert
Das alles ist natürlich gar nicht im Sinne des Erfinders. Nicht, weil Zuckerberg auf seine alten Tage nostalgisch wird und die verloren gegangene Wohlfühlwirkung seines sozialen Netzwerks wiederherstellen möchte, gibt er zu Protokoll:
„We feel a responsibility to make sure our services aren’t just fun to use, but also good for people’s well-being.“
Plausibler ist, dass der Geschäftsmann Mark Zuckerberg befürchtet, dass das Facebook-Wachstum seinen Zenit überschritten haben könnte. Erstes Indiz dafür: Zum ersten Mal seit neun Quartalen ging auf dem für Facebook so wichtigen Markt USA und Kanada die Zahl der täglichen Nutzer zurück: Von 185 Millionen in Q3/2017 auf 184 Millionen in Q4/2017. Und offenbar ist das erst der Anfang, denn einer Prognose des Forschungsinstituts edison research zufolge werden 2018 nur noch 174 Millionen Amerikaner über 12 Jahre Facebook nutzen. Gegenüber 2017 wäre das ein Rückgang um fünf Prozent.
Content Hygiene fürs langfristige Geschäft
Deswegen verschärft Zuckerberg jetzt, was bereits seit 2013/14 gängige Praxis ist: Er bremst die organische Reichweite unbezahlter Unternehmensbeiträge zugunsten privater Kommunikation und Interaktion stärker ein. Getreu dem Motto „Wehret den Anfängen“ betreibt er Content-Hygiene, um die Nutzer bei der Stange zu halten und langfristig die Basis für sein lohnendes Werbegeschäft zu sichern.
Was können EVU jetzt tun?
Zunächst: Abwarten und auswerten! Sicher werden nicht alle Stadtwerke gleichermaßen von den angekündigten Veränderungen betroffen sein. Vieles hängt von der früher aufgebauten Community ab: Ist diese organisch gewachsen oder wurden massenhaft Fans mit Gewinnspielaktionen geködert? Wohl dem, der Fans mit Interaktionsbereitschaft hat! Ein halbes Jahr sollte man abwarten und die Zahlen der Facebook-Statistik beobachten, um eine belastbare Datenbasis zu erhalten. Erst dann lässt sich die Frage beantworten: Wie stark ging die durchschnittliche organische Reichweite pro Post tatsächlich zurück und was ist die künftige Strategie?
Noch mehr anstrengen?
Natürlich kann man ab sofort noch mehr Zeit und Aufwand in die Kreation von Facebook-Content investieren, um die Engagement-Rate, also auch die Reichweite, hoch zu halten. Tipps dafür gibt es zurzeit viele – zum Beispiel: Facebook ändert den Newsfeed: Was jetzt zu tun ist oder 7 Wege aus der Facebook-Reichweiten-Falle. Deren Quintessenz lautet:
- Noch relevantere und interessantere Beiträge für die Zielgruppe verfassen, damit diese von privaten Profilen geteilt werden.
- Mehr (Live-)Videos produzieren, weil diese die höchsten Interaktionsraten auf Facebook verzeichnen.
Aber ist unbezahlte Reichweite wirklich ein unternehmerisches Ziel? Und bewegt man sich auf diese Weise nicht schnurstracks auf die Gretchenfrage zu:
Steht der Aufwand noch dafür?
Tatsächlich lässt sich das nicht einfach und pauschal beantworten: Es kommt darauf an! Nämlich auf die Ziele, die man als Unternehmen mit Facebook verfolgt. Denkt man an das klassische Verständnis von Social Media Arbeit wie Fanaufbau, Community-Management und Reichweite, dann ist die verschärfte Newsfeed-Politik ein herber Schlag ins Kontor. Entweder müssen Fanpage-Betreiber jetzt Geld ausgeben, um ihre Follower mit bezahlten Posts zu erreichen, oder sie erhöhen das zeitliche Budget für die bezahlte Arbeitskraft. Also: alles wie gehabt, bloß teurer.
Die Perspektive ändert alles
Sobald man stärker in vertrieblichen Kategorien denkt, ist organische Reichweite, also auch deren Kappung, gar nicht so wichtig. Aus dieser Sicht bietet Facebook in erster Linie starke Marketingmöglichkeiten mit einem ausgeklügelten Zielgruppen-Targeting – der Datenkrake lässt grüßen! Dass man dafür zahlen muss, ist eh klar, Hauptsache es rechnet sich am Ende des Tages. So gesehen betreibt man dann keine Seite, um Fans zu betreuen, sondern ist auf Facebook präsent, um den mächtigen Werbetool-Baukasten nutzen zu können (und betreibt Community-Management in Maßen beziehungsweise postet bloß noch, wenn man Relevantes zu vermelden hat).
„Der Reichweiteneinbruch bei Facebook mündet zwangsläufig in eine Überprüfung der unternehmerischen #ContentStrategie“
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Die organische Reichweite sinkt – na und?
Thomas Hutter, in Insider-Kreisen als „Mister Facebook“ bekannt, argumentiert schon seit Jahren in diese Richtung – jüngst zu Jahresbeginn in einem engagierten Blogbeitrag mit der ellenlangen Überschrift „Facebook: Fake Accounts, Klarnamenpflicht, Business Manager, sinkende Reichweite, Reactions-Baiting – Ignoranz oder fehlendes Wissen? Please Stop Fucking Around!“. Der Inhalt in Kurzform: Unternehmen sollten aufhören, sinn- und hirnlosen Content zu verbreiten, also mit selbstzweckhafter „Fan-Bespaßung“ Geld zu verbrennen. Er fordert auf, Facebook primär als Marketingkanal zu betrachten und ihn entsprechend professionell zu betreiben:
„Bei der Planung von Massnahmen halte ich mich schon lange an die Strategie “Zero Organic Reach”. D.h. ich berate meine Kunden dahin, dass organische Reichweite kein Bestandteil der Strategie darstellt. Geplant werden grundsätzlich alle Massnahmen nur, wenn diese einem Marketing- oder Kommunikationsziel folgen. Entsprechend können daraus Berechnungen über den notwendigen Media-Spent erstellt werden […]“
Content-Strategie überprüfen
Egal, ob Unternehmen auf Facebook vertriebliche Ziele verfolgen, klassisch Kunden binden oder die Markenbekanntheit fördern wollen: Ohne die Bereitschaft, Media-Budget einzuplanen, macht Facebook kaum noch Sinn. Weil Facebook schlicht teurer wird, sind Unternehmen gezwungen, ihre gesamte Content-Strategie zu überdenken. Aus meiner Sicht sollten sie das zumindest.
Automatisch rücken so andere digitale Kanäle (wieder) in den Fokus: Die Website etwa, die sich durch SEO-Optimierung eine höhere Sichtbarkeit, also mehr Kundenkontakte verdienen kann. Oder der E-Mail-Newsletter: Dank verhaltensgesteuerter Content-Personalisierung, Marketing-Automation und individueller Ansprache ist das älteste digitale Push-Medium in Sachen Kundenbindung, Lead-Generierung und Abverkauf nach wie vor sehr erfolgreich im digitalen Äther unterwegs.
Der Herr im eigenen Haus
Beide Kanäle gehören übrigens zur Gattung Owned Media und haben einen unschlagbaren Vorteil: Hier ist man der Herr im Haus, niemand kann von heute auf morgen einseitig Spielregeln ändern!