Blicken wir nach vorn: Sollte es zur Jamaika-Koalition kommen, was ändert sich dann für die Energiebranche? Hier kann man es sich schwer oder leicht machen. Für das Ergebnis bleibt es egal – viel wird sich ändern, aber nicht wegen der großen Politik!
Der anstehende Regierungswechsel wird weder die Energiewende zurückdrehen noch den Kernkraftausstieg revidieren. Die Pflöcke sind eingeschlagen, nur zu den Details gibt es noch Diskussionen.
„Nach der Wahl ist vor der Wahl. Die Schwampel wird bei Energie so schwurbeln wie zuvor die Groko.“
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Energie funktioniert langfristig
Bei den erneuerbaren Energien wird ohnehin laufend nachreguliert, es gibt sogar eine eigene Behörde dafür. Und ansonsten hat die Politik genug zu tun, bei den von ihr neu geschaffenen Notwendigkeiten bei Netz und Ausbau zur Integration der Erneuerbaren hinterher zu kommen und dabei gleichzeitig auf Wirtschaftlichkeit zu achten. Der Handlungsspielraum ist also unterm Strich ziemlich gering.
Für eine genaue Analyse kann man die Parteiprogramme der Liberalen und der Grünen daraufhin prüfen, was sie bei Energie so wollen. Zu bedenken ist dabei, dass die Fehlerquote einer solchen Hochrechnung in die Zukunft sehr hoch ist. Parteiprogramme sind eben nur Programme von Parteien; die Erfahrung zeigt, dass eine Koalition fast alle Positionen abschleift.
Jacke wie Hose?
Man kann es sich zur Einordnung der Vorhaben aber auch leichter machen. Es reicht schon, die wichtigsten Aussagen festzuhalten, die ja oft genug vorgetragen wurden: Den Grünen kann bei ihrem Kernthema Umwelt und Klima der Anteil erneuerbarer Energien nicht hoch genug sein. Die Liberalen stehen da auf der Bremse, weil sie am Nutzen eines zu flotten Ausbaus fürs Klima zweifeln und die hohen volkswirtschaftlichen Kosten dafür monieren. Hier kann man davon ausgehen, dass sich die beiden Positionen gegenseitig schwächen. Und dass dann in der Praxis das herauskommt, was die Union bei den Erneuerbaren schon zuvor zusammen mit der SPD ins Werk setzte: einen weiteren, aber gedeckelten Ausbau über kostensenkende Ausschreibungen. Das können dann alle als ihren eigenen Erfolg verbuchen.
Schwurbelnde Schwampel
Das Prinzip, dass sich in einer Koalition die äußeren Positionen abschleifen und in Richtung Mainstream wandern, gilt übrigens nicht nur für das Thema Energie. Die Standpunkte der kleineren Regierungspartner ordnen sich so ziemlich dort ein, wo die bestimmende Partei schon steht. Am Beispiel der Farben: Wenn aktuell viel von Schwarz/Gelb/Grün, von Jamaika oder – eher ironisch – von der Schwampel die Rede ist, hängt das Bild schief. Die Farben bleiben nämlich nicht bestehen. Weil alle Parteien aufgrund ihrer starken Neigung zum Regieren darauf verwiesen sind, zu kooperieren, gehen sie eine intensive Vermischung ein. Und was dann als Politik rauskommt? Hoffentlich keine schwurbelnde Schwampel.
„Das Wahlergebnis kann EVU egal sein. Sie müssen aus Kundensicht digitalisieren und ihre Kultur ändern“
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Die Revolution passiert längst woanders
Für die deutschen Versorger liegt die wirkliche Ursache einschneidender Veränderungen sowieso nicht bei der deutschen Politik. Deren Ideen und Regelungen hinken dem technischen Fortschritt schon lange hinterher. Noch schlimmer: Eingepresst in ein immer enger werdendes Korsett staatlicher Vorgaben, verlieren Versorger den Blick fürs Wesentliche: den Nutzen ihrer Arbeit aus Kundensicht. Und dieser Nutzen wird durch die immense Geschwindigkeit neuer technologischer Entwicklungen auf eine harte Probe gestellt.
Ein Stück Digitalisierung und ein ketzerischer Gedanke
Nur ein Beispiel: Letzte Woche sah ich eine Datenbank-Software, die auf Knopfdruck einen Stromtarif generiert, der individuell auf den Bedarf eines einzelnen Kunden zugeschnitten werden kann. Abrechenbar über SAP/ISU, ohne dass dieser Dinosaurier angefasst werden muss. Von Blockchain und den daraus resultierenden Konsequenzen ganz zu schweigen.
Ein Gedankenexperiment kann ich mir allerdings nicht verkneifen: Wenn über Blockchain tausende von Erzeugungs- und Speicher-Anlagen lokal und direkt miteinander vernetzt werden können, wenn es sogar möglich ist, regionale (Krypto-) Währungen in kürzester Zeit aufzusetzen, wenn die Speicherkosten weiter so fallen wie zur Zeit, wenn also die Kunden eines Stadtwerks das Gefühl bekommen, die klassischen Versorgungsleistungen selbst abbilden und auch noch in eigener Währung zahlen zu können – dann werden sie das irgendwann tun!
Was heißt das für EVU?
Für Stadtwerke und Regionalversorger bedeutet das:
- Sie haben ständig neuen irrelevanten bis nervtötenden politischen Vorgaben zu genügen, ohne dabei irre zu werden.
- Sie sollten das Augenmerk auf den technischen Fortschritt und ihre Kunden legen sowie den Marktanteil mit Zähnen und Klauen verteidigen, um Zeit zu gewinnen.
- Sie müssen einen Markenkern für die neue Welt erarbeiten und Ideen beziehungsweise Prozesse entwickeln, wie man die Kunden heute schon schrittweise in die Energiewelt von morgen mitnehmen kann.
- Und ihre schwerste Aufgabe: Sie müssen eine Unternehmenskultur entwickeln, die schnelle Veränderungen als Chance begreift und nicht als Bedrohung.
Alles stärkt den Local Hero
Das Schöne dabei: Fast alle für Versorger relevanten technischen und gesellschaftlichen Entwicklungen zahlen auf ihre lokale Präsenz und Potenz ein. Man muss diese Chancen halt nutzen.
„Local Identity wird wichtiger als Corporate Identity“, so lautet das Credo von Frank Trurnit, Geschäftsführer der trurnit Gruppe. Seit 1987 leitet er das Unternehmen, das heute für kunden- und themenzentrierte Kommunikation steht. Seine Schwerpunkte: Nachhaltigkeit, Smart City, Mobilität, Digitalisierung, Change.