Kundenorientierung ist keine neue Erfindung. Jede*r von Ihnen würde doch mit Sicherheit behaupten: „Wir sind absolut kundenorientiert“. Aber wie lässt sich diese Aussage auf Ihre Digitalisierungsbestrebungen übertragen? Und was hat Amazon damit zu tun?
Um das „oder“ aus dem Titel gleich mal aufzulösen: Ja, klar sollte der Kunde im Zentrum stehen. Es geht mir nicht darum, ob man diese Aussage einschränken muss, sondern ob sie weit genug gefasst ist. Denn „Kunde“ impliziert, dass dieser Mensch schon etwas von Ihnen gekauft hat. Die Beziehung zwischen Ihnen und dem Menschen fängt aber weit vor der Transaktion an.
Was die Kaufentscheidung beeinflusst
Stellen Sie sich ein Kaufhaus vor: Ob Sie etwas kaufen, entscheidet sich nicht an der Kasse. Auch nicht, während Sie durch die Gänge schlendern. Und auch nicht, wenn Sie das Kaufhaus betreten. Weit davor werden Sie schon von Unternehmen mit unterschwelligen oder offensichtlichen Botschaften bombardiert. Die Musik im Kaufhaus, der Geruch, die Anordnung der Regale, die Platzierung der Produkte… All das und noch viel mehr hat der Einzelhandel über lange Zeit hinweg perfektioniert.
Übertragen wir dieses Bild auf das im Kern digitale Geschäftsmodell von Amazon, wird schnell klar, worauf ich abziele. Denn Amazon ist nicht von ungefähr eines der (beziehungsweise zwischenzeitlich das) wertvollste Unternehmen der Welt. Amazon hat es perfektioniert all die Faktoren, die ein erfolgreiches physisches Kaufhaus ausmacht, sinngemäß auf ihr Kernprodukt zu übertragen. Nur sind es hier nicht Musik, Geruch und die Regale, sondern Ladezeit, Usability, Personalisierung und vieles mehr. Das äußert sich auch im Kundenservice beziehungsweise im Umgang mit Reklamationen.
Benchmark Kundenservice
Ein persönliches Beispiel: Für das ferngesteuerte Auto meines Sohnes habe ich Batterien gekauft. Die Batterien sind blöderweise im Auto ausgelaufen. Eine riesige Sauerei, aber kein bleibender Schaden. In der Amazon-App erkläre ich per Livechat einem Kundenservice-Mitarbeiter das Problem und innerhalb von zwei Minuten erstattet mir Amazon den Kaufpreis und schickt mir Ersatzbatterien zu. Ohne Wenn und Aber.
Warum erzähle ich das? Weil Erlebnisse wie dieses natürlich meine persönliche Erwartungshaltung an ein Unternehmen stark prägen. Jetzt multiplizieren Sie meinen Einzelfall mit der Marktmacht von Amazon, Google, Facebook und Co. und schon diktiert eine handvoll Unternehmen, was ein Großteil der Internetnutzer als Benchmark für die User Experience ansieht.
Wie schafft man es, Kundenorientierung in eine digitale Welt zu übertragen? Statt Theorien zu wälzen und Hypothesen zu bilden: Reden Sie mit Ihren Kunden! Einfach strukturierte User-Testings bringen überraschende Erkenntnisse. #trurnitBlog @trurnitGruppe http://trurn.it/kRIq
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Nutzerzentrierung in der Praxis
Wie lässt sich das große Thema Kundenorientierung auf kleine, in der Praxis anwendbare Bausteine herunterbrechen? Die gesamte Nutzererfahrung setzt sich aus einer Vielzahl an Einzel-Faktoren zusammen, die aus Unternehmenssicht manchmal gar keinen Zusammenhang haben. Genau dieser fehlende Zusammenhang sorgt dann dafür, dass Menschen vor scheinbar unüberwindbaren Hürden stehen. Hürden, die für Sie mit all Ihrem Wissen zu Prozessen, Wordings und Produkten des Unternehmens absolut selbstverständlich erscheinen.
Nichts hilft mehr dabei, diese Hürden zu finden, als mit Ihren Zielgruppen in unmittelbaren Kontakt zu treten. Also „auf die Straße zu gehen“ und mit den Menschen zu sprechen, die zum Beispiel Ihr Produkt kaufen, Ihre Website benutzen oder Ihr Self-Service-Portal verwenden sollen. Ein probates Mittel sind so genannte User-Testings. Es gibt natürlich zahlreiche weitere Methoden, um digitalen Touchpoints zu testen, seien es Interviews, Multivarianten-Tests, frühphasige Tests von Prototypen aus Papier, High-Fidelity-Prototyping, Mischformen der genannten und noch viele mehr. All diese Methoden verfolgen das Ziel, möglichst niedrigschwellig und oft angewandt zu werden. Das Ziel ist, oft und nah am Nutzer zu testen und so zu schnell anwendbaren Lösungen zu kommen.
Wie funktioniert ein User-Testing?
Das Prinzip eines solchen User-Testing ist schnell erklärt:
- Wir rekrutieren drei bis fünf Personen, die aus Ihrer demografischen Zielgruppe kommen. Mehr als fünf Personen sind in den meisten Fällen nicht nötig. Im Zweifel nehmen Sie lieber weniger Nutzer und testen dafür häufiger.
- Wir erarbeiten gemeinsam mit Ihnen zu testende Use-Cases. Zum Beispiel eine Mischung aus vertrieblichen, informatorischen und serviceorientierten Use-Cases.
- Wir moderieren das Testing im Sinne eines Interviews, in dem wir mit Ihnen den Testverlauf per Screensharing auditiv und visuell verfolgen.
- Die im Testing identifizierten Probleme priorisieren wir gemeinsam nach Wichtigkeit und geben Handlungsempfehlungen für die nächsten Schritte ab.
Das mag kleinteilig klingen und erst mal das große Ganze vermissen lassen. Aber es sind genau diese Detailfragen, die am Ende eine herausragende Nutzererfahrung ausmachen. Nicht selten sind die auftretenden Probleme auch nur Symptome von in früheren Phasen getroffenen Fehlentscheidungen.
Statt Hypothesen zu bilden: Gehen Sie auf die Menschen zu!
In einer frühen und strategischen Phase ist das Pendant zum User-Testing oftmals die Entwicklung von Personas. Und auch hier gilt dasselbe Prinzip: Gehen Sie auf die Straße und sprechen Sie mit den Menschen, die Ihre Personas abbilden sollen. Tun Sie das nicht, treffen Sie alle davon abhängigen Entscheidungen auf Basis von Hypothesen.
Insbesondere Unternehmen, die seit Langem erfolgreich in der Branche unterwegs sind, sollten sich in punkto Kundenorientierung die Frage stellen: „Stimmt das Bild, das ich von meinem Nutzer oder Kunden habe, in einer digitalisierten Welt noch?“ Die ehrliche Antwort darauf finden Sie selten innerhalb Ihrer Komfortzone. Trauen Sie sich heraus und lassen Sie sich überraschen, wie viel Potenzial noch auf Sie wartet!